Donnerstag, 6. Mai 2010

Zeitreise I

Ich hatte die Zeit vergessen und musste mich beeilen. Wie so oft. Sie war mir entglitten, zerronnen, verloren gegangen. Und trotzdem hatte ich sie genutzt, wenn auch nicht wahr genommen. Die Zeit.
Aber wenn ich bei ihr war, war Zeit nicht wichtig. Zeit war lebensnotwendig. Denn nur wenn ich Zeit hatte konnte ich ihren Augen zeigen was ich sah, konnte ihre Ohren hören lassen was ich wahr nahm und ihrer Haut Berührungen schenken, die sie so dringend brauchte und so erbittert erkämpft hatte. Denn sie war es, die mir eine Chance gab. Ich hatte sie zuerst gar nicht wahr genommen, in der kleinen, verrauchten, verdunkelten und lauten Kneipe. Ich hatte sie nicht gesehen, vielleicht übersehen, hinweggesehen über sie. Und dann war sie hinter mir gestanden, hatte mir auf die Schulter geklopft, sanft und fest, sich zu meinem Ohr gelehnt und ein paar Worte in mein Ohr gesäuselt, die ich nicht verstand. Aber ich drehte mich um, sah sie an, diese blauen Augen, die so tief waren, dass ich in ihr die Zeit verlor, nicht mehr wahr nahm und alle Geräusche um mich herum verloschen. „Ich muss vorbei!“; schrie sie nun, doch ich hätte es auch so gehört. Meine Ohren klingelten, läuteten und ich nahm die Dringlichkeit ihrer Worte wahr.
Ich weiß nicht mehr ob ich lächelte, sie nur starr anstarrte, sie mit meinen Augen auffraß oder sabberte. Ich sah nur die blauen Augen, konnte mich an sonst nichts satt sehen. Nur diese Augen. Bis sie sich vorbeigedrängt hatte, mir den Rücken zuwandte und ihre Augen nach vorne sahen. Sie schlich durch den vollgestopften Raum, vorbei an der Bar und unter dem Wegweiser zur Toilette durch, bis sie hinter einer nachschwingenden Tür verschwand.
Mit einem Mal dröhnte der Raum, meine Augen brannten in dem vor Rauch qualmendem Raum. Ich hatte einen trockenen Mund, löschte alles mit einem Schluck Bier runter und war wieder im Leben. Noch nie hatte ich eine Toilettentüre so sehnsüchtig und wartend angesehen wie damals. Ich hörte die Sekunden in meinem Kopf, spürte meine Herzschläge, verlor mich und wurde von einem Schlag auf meine Schulter wieder ins Lokal geholt. Was denn mit mir los sei, ob ich denn zugehört hätte, fragte mich Stefan. Ja, ja. Alles sei in Ordnung, ich sei bei der Sache, sagte ich und war mir meiner Worte nicht ganz so sicher. Ab und zu sah ich sehnsüchtig zur Türe, sah den Menschen zu die rein gingen, betrachtete alle, die herauskamen, aber fand meine Augen nicht mehr. Ich wurde ungehalten, sah auf die Uhr, fragte mich ob ich sie verpasst hätte, zählte die Zeit, die Minuten, schließlich die Stunden und ging erst spät nach Hause.
Blaue Augen. Diese Blaue Augen. Diese wundervollen blauen Augen. Diese wundervollen betörenden blauen Augen. Verschwunden.
Erst am nächsten Wochenende sollte ich sie wieder sehen. Die Zeit war zäh verflossen, die Tage waren nicht vergangen und doch war in diesem Moment alles egal. Ich sah sie gleich, in der kleinen, verrauchten, verdunkelten und lauten Kneipe. Ich hatte sie gesehen und wollte zu ihr gehen, überlegte wie ich vorgehen sollte.

2 Kommentare:

  1. Gefällt mir sehr gut! Allerdings muss man sich als "Laie" sehr konzentrieren, um den Worten immer folgen zu können. Die Wortspiele wirken gekonnt. Wann kommt Teil2?

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